Experte: Kranken gegenüber darf man offen sein

VonC. Peters

3. November 2023

Ingolstadt (KNA)Auch mit schwerkranken Menschen darf man dem Ingolstädter Klinikseelsorger Christoph Kreitmeir zufolge unverblümt sprechen. Wenn es passe, dürfe man ihnen gegenüber sehr offene Worte wählen, sagte Kreitmeir in einem am Freitag veröffentlichten Interview. „Dafür braucht man natürlich Erfahrung und Gespür. Offenheit bedeutet ja: Du bist mir wichtig, ich glaube, du könntest dich ändern. Ansonsten könnte ich es mir mit Blabla bequem machen.“

Kreitmeir (61) ist katholischer Priester und Franziskaner. Er hat nach eigenen Angaben seit 2017 rund 1.800 Sterbegänge begleitet – bei Totgeburten genauso wie bei fast Hundertjährigen. Jüngst ist von ihm ein neues Buch erschienen: „Welche Farbe hat der Tod? Erfahrungen eines Klinikseelsorgers mit Leben und Sterben“.

Darin schreibt Kreitmeir etwa von einer schwerkranken alten Frau mit schwierigem Charakter. „Sie erzählte mir auf dem Krankenbett, ihre Tochter habe sie ‚Giftkröte‘ genannt, das sei ja wohl unerhört“, erzählte der Seelsorger im Interview. „Ich fasste mir ein Herz und sagte: ‚Manchmal sind Sie wirklich wie eine Giftkröte!‘ Die Frau war erst schockiert. Später bedankte sie sich bei mir und bat ihre Tochter für ihr unleidliches Verhalten um Entschuldigung. Heute ist sie umgänglicher.“

Kreitmeir ergänzte, die Kirche könne in Sachen Sterbebegleitung noch dazulernen. So sagte er in Bezug auf Kontakte zu Verstorbenen: „Die zu verbieten, wie es der Katechismus tut, vergibt eine Chance des Beistands.“ Manchmal spüre er an jemandes Sterbebett regelrecht, dass Verstorbene von der anderen Seite da seien. Dem oder der Sterbenden sage er dann: „Du wirst drüben erwartet und abgeholt, da gibt es ein Empfangskomitee.“ So könne das Sterben von Vorfreude geprägt werden.

Trauernden Trost und Hoffnung geben

Der Priester fügte an: „Auch sollten wir bereits Verstorbenen nicht die Sakramente verweigern. Ich darf ein tot geborenes Kind nicht taufen, ich soll Toten keine Krankensalbung spenden.“ Doch solche Rituale seien Angehörigen in ihrer Trauer hilfreich. „Die Sakramente sollen bewusst empfangen werden, so das Kirchenrecht. Welcher Säugling tut das denn? Welcher Sterbende voller Morphium? Außerdem verlässt die Seele den Körper meiner Erfahrung nach nicht sofort. Die Kirche verschenkt da ihre Kernkompetenz, den Trauernden Trost und Hoffnung zu geben.“

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