Borkum (dpa) – Die Polizei hat für den umstrittenen Nikolausbrauch «Klaasohm» auf der Nordseeinsel Borkum verstärkte Maßnahmen angekündigt. «Wir fahren eine Null-Toleranz-Linie», betonte ein Sprecher der Polizei. «Gewalt wird nicht akzeptiert.» Momentan werde ein Konzept erarbeitet, wie die Einsatzkräfte die Veranstaltung in der Nacht zum 6. Dezember begleiten werden. Nach heftiger Kritik hatten die Veranstalter angekündigt, den «Brauch des Schlagens» dieses Jahr vollständig abschaffen zu wollen.
Die Polizei ermutigt Frauen, denen bei dem Brauch Gewalt widerfahren ist, Strafanzeige zu stellen. «Wer Opfer geworden ist, sollte keine Angst haben», betonte der Sprecher der Polizei. «Wir nehmen das sehr ernst.» Delikte wie Körperverletzung oder gefährliche Körperverletzung verjähren demnach erst nach 20 bis 30 Jahren.
TV-Bericht löste Empörung aus
Ein Bericht des ARD-Magazins «Panorama» über die Tradition hatte bundesweit für Empörung gesorgt. In dem Beitrag berichten Borkumerinnen und Borkumer anonym von aggressiven Übergriffen. Ein Team filmte im vergangenen Jahr, wie Frauen bei dem Fest auf der Straße von «Fängern» festgehalten werden und ihnen die sogenannten Klaasohms mit einem Kuhhorn auf den Hintern schlugen.
«Was für eine schreckliche Tradition. Wie tief die Unterdrückung von Frauen noch verankert ist», kommentierte eine Nutzerin den Beitrag des NDR-Reportageformat «STRG_F», der auf Youtube veröffentlicht wurde. Das Video erreichte auf dem Portal binnen weniger Stunden mehr als 400.000 Aufrufe und erzielte hohe Reichweiten in den sozialen Netzwerken.
Die Veranstalter des Fests auf der rund 5.000 Einwohner zählenden Insel sprechen von einem «Shitstorm». Der Verein Borkumer Jungens, die Stadt und das Nordseeheilbad würden mit Nachrichten und E-Mails überhäuft. «Insulanerinnen und Insulaner werden ohne tiefergehende Kenntnisse persönlich angefeindet.» Inzwischen sagen auch Touristen ihren Urlaub auf der ostfriesischen Insel ab.
Veranstalter reagieren auf Kritik
Der Verein räumte ein, die Tradition könne im heutigen Zeitgeist und aus Sicht Außenstehender kontrovers wirken. Künftig sollen das Fest transparenter gestaltet und Missverständnisse aufgeklärt werden. «Wir verstehen die Kritik an den in der Reportage gezeigten Szenen und fühlen uns verpflichtet, weitere Veränderungen herbeizuführen.»
Gleichzeitig erklären der Verein und der parteilose Bürgermeister der Insel, Jürgen Akkermann, dass die Recherche ein verzerrtes Bild des Brauches darstelle. «Die Berichterstattung ist aus meiner Sicht tendenziös und unseriös. Diese Bewertung wird von vielen Bewohnerinnen und Bewohnern der Insel geteilt», sagte Akkermann auf dpa-Anfrage.
Bürgermeister: Videosequenz zeigt Fehlverhalten einzelner Menschen
Die Videosequenz zeige ein Fehlverhalten einzelner Menschen und könne «keinesfalls als Beleg dafür herhalten, dass die Insel Gewalt toleriert, wie es der Bericht suggeriert». Akkermann teilte weiter mit: «Heutzutage feiern Frauen, Männer und Kinder auf den Straßen, in den Lokalen und in den Häusern gemeinsam. Leider kommen aber positive Stimmen im Bericht nicht zu Wort.»
In einer Stellungnahme räumte der Verein inzwischen ein, dass das Schlagen mit Kuhhörnern in der Vergangenheit «und in Einzelfällen auch in den letzten Jahren» Teil des Brauches gewesen sei. «Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeder Form der Gewalt gegen Frauen und entschuldigen uns für die historisch gewachsenen Handlungen vergangener Jahre», teilte der Verein mit. Dieser Teil der Tradition habe jedoch nie den Kern des Fests ausgemacht. In den vergangenen Jahren sei es «fast gar nicht mehr» erfolgt.
Polizei: «Wir werden das intern aufarbeiten»
Die Polizei kündigte an, das Gespräch mit den Veranstaltern und dem Ministerium zu suchen. Dabei soll es auch um das bisherige Verhalten der Einsatzkräfte im Zusammenhang mit dem Brauch gehen, wie ein Sprecher der Polizei sagte. «Wir werden das intern aufarbeiten.»
Kritik kommt auch aus der niedersächsischen Landesregierung. Die Staatssekretärin im Sozialministerium, Christine Arbogast, betonte den hohen Stellenwert von Brauchtum und Traditionen. Sie seien zu respektieren und zu schützen. «Aber es ist klar, dass alles da sein Ende findet, wo sich Frauen unsicher fühlen und Angst vor körperlicher Züchtigung haben», sagte Arbogast nach Bekanntwerden der Vorwürfe.
«Wer sich den Hintern mit einem Horn versohlen lassen möchte, darf das tun. Wer das nicht möchte, muss aber auch respektiert werden», hatte die Staatssekretärin am Freitag erklärt. Es sei nun die Aufgabe vor Ort, eine offene Diskussion über den Brauch zu ermöglichen.
Worum es bei «Klaasohm» geht
Die Tradition gibt es seit Generationen jedes Jahr am Abend vor dem 6. Dezember. Nach Angaben des Regionalverbandes Ostfriesische Landschaft verkleiden sich dabei junge, unverheiratete Männer mit Masken, Schafsfellen und Vogelfedern als sogenannte Klaasohms. Der Ausdruck «Klaas» geht demnach auf das niederländische Wort für Nikolaus zurück. Die Klaasohms begleiten dann einen als Frau verkleideten Mann, der sich als sogenannte Wievke mit Rock und Schürze wild gebärdet. Ausgestattet sind alle mit Kuhhörnern.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit kommt es dem Brauch zufolge zuerst in einer Halle zu einem rituellen Kampf, zu dem ausschließlich Männer zugelassen sind, die auf Borkum geboren wurden. «Im Anschluss daran ziehen die Männer unter Getöse von Haus zu Haus über die Insel», beschreibt der Regionalverband in Ostfriesland den Brauch.
Für die Kinder gibt es Honigkuchengebäck
«Junge Frauen, die sich in dieser Nacht aus dem Haus wagen, werden gefangen und mit einem Kuhhorn verhauen. Die Kinder aber werden gut behandelt und bekommen Moppen, ein hartes Honigkuchengebäck, geschenkt», heißt es weiter. Den Abschluss findet der Brauch demnach auf einem Platz. Höhepunkt sei ein Sprung der Klaasohms und der Wievke von einer meterhohen Säule in die Menschenmenge.
Auf Borkum wird sich erzählt, dass der Brauch auf die Zeit der Walfänger zurückgeht. Die Männer seien am Jahresende zurück auf die Insel gekommen, nachdem sie monatelang auf See waren, und hätten mit dem Brauch klargemacht, dass nun wieder sie – und nicht die Frauen – das Sagen hätten.
Quellen: Mit Material der dpa.