Berlin (dpa) – Im monatelangen Streit über die Einführung einer Kindergrundsicherung hat sich die Regierungskoalition nach den Worten von Familienministerin Lisa Paus auf das weitere Vorgehen geeinigt. «Jetzt haben wir Klarheit, jetzt gibt es ein Einvernehmen», sagte die Grünen-Politikerin in den ARD-«Tagesthemen». «Die Kindergrundsicherung kommt. Am Ende des Sommers wird ein Gesetz im Kabinett beschlossen. Und es wird tatsächlich Leistungsverbesserungen geben», sagte Paus. Dabei habe sie Kanzler Olaf Scholz (SPD) an ihrer Seite. Es gehe nun in der Koalition nur noch um «kleine Dinge, die miteinander zu klären sind».
Zu den veranschlagten Kosten, die seit Monaten strittig sind, wollte sich Paus nicht konkret äußern. Die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Finanzplan für 2025 eingestellten zwei Milliarden Euro seien lediglich ein «Platzhalter». Am Ende werde es wohl eine Summe zwischen diesen zwei und den von ihr veranschlagten zwölf Milliarden Euro sein.
Paus: «Das ist die Klarheit, die wir brauchen»
Die Kindergrundsicherung soll Leistungen wie das Kindergeld, das Kinder-Bürgergeld, den Kinderzuschlag und solche aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket zusammenführen. Die Antragstellung soll übersichtlicher und einfacher werden. Über die Finanzierung war in der Ampel-Koalition lange gestritten worden – vor allem zwischen Grünen und FDP.
Zu der Einigung sagte Paus: «Das ist die Klarheit, die wir brauchen, damit wir effektiv Kinderarmut in Deutschland bekämpfen können.» Es sei nicht hinzunehmen, dass jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut aufwächst. «Damit müssen wir Schluss machen.»
Nach Paus‘ Angaben werden die Kabinettsmitglieder der Grünen nun dem Bundeshaushalt am Mittwoch zustimmen. Eine Kopplung des Haushalts mit der Kindergrundsicherung sei wichtig gewesen, um Bewegung in diese Diskussion zu bringen, sagte die Grünen-Politikerin in einem RTL/ntv-Interview. «Jetzt habe ich den klaren Auftrag und die klare Aussage, dass die gesamte Regierung hinter der Kindergrundsicherung steht, und auch dahinter, dass es Leistungsverbesserungen geben wird mit der Kindergrundsicherung. Und deswegen: Ja, wir werden morgen dem Haushalt zustimmen.»
Lang: «Der Knoten löst sich»
Auch die Grünen im Bundestag sehen den Weg frei für die Kindergrundsicherung. «Jetzt ist klar: Die Kindergrundsicherung wird kommen, als gerechte und verbesserte Leistung für Familien und Kinder. Auch der Kanzler steht für dieses zentrale sozialpolitische Projekt der Ampel», sagte Bundestagsfraktionschefin Britta Haßelmann der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf einen Brief, den Scholz an Paus geschrieben hat.
Grünen-Parteichefin Ricarda Lang äußerte sich ebenfalls zufrieden. «Die Kindergrundsicherung kommt, der Knoten löst sich», sagte sie der dpa. «Jetzt kann der Neustart in der Familienförderung – inklusive einer höheren Unterstützung von armutsgefährdeten Kindern – auf den Weg gebracht werden.»
Scholz an Paus: Alternativen erarbeiten
Scholz hatte an Paus geschrieben, bis Ende August solle ein innerhalb der Bundesregierung geeinter Entwurf vorliegen. Entlang der Eckpunkte solle das Familienministerium den neuen Gesetzentwurf nun zügig erarbeiten beziehungsweise ergänzen.
Finanzminister Lindner verwies in der «Bild»-Zeitung darauf, dass die Regierung die Förderung von Familien schon massiv ausgebaut habe. «Das setzen wir fort. Aber irgendwann stellt sich die Frage, ob zusätzliches Geld nicht besser an die Schulen gehen sollte statt auf das Konto der Eltern.»
In dem Brief von Scholz heißt es zu möglichen Leistungsverbesserungen, Paus solle Alternativen erarbeiten – darunter eine, die ausschließlich den Kindersofortzuschlag beinhalte, sowie verschiedene weitere, die das «soziokulturelle Existenzminimum» für Kinder neu berechne. Gleiches gelte für den Pauschalbetrag des Bildungs- und Teilhabepakets. Weiter heißt es, die Ressortabstimmung sollte zeitnah eingeleitet werden – so, dass das Kabinett sich Ende August damit befassen könne.
Haßelmann sagte zu Forderungen aus der FDP, die Pläne von Paus wegen Geldmangels einzudampfen, die Kindergrundsicherung sei mehr als ein Digitalisierungsprojekt. «Es geht auch darum, Kinder und Familien, die armutsbetroffen sind, zu unterstützen. Das heißt, Verbesserungen von Leistungen werden kommen.»
Esken geht von zusätzlichen Ausgaben aus
SPD-Chefin Saskia Esken geht von zusätzlichen Ausgaben für die Kindergrundsicherung aus und sieht offenbar eine Spanne zwischen mehr als zwei und sechs Milliarden Euro. Auch Esken sprach bezüglich der von Finanzminister Lindner im Finanzplan für 2025 eingestellten zwei Milliarden Euro von einem «Platzhalter» – weil «man eben in der mittelfristigen Finanzplanung auch was ansetzen muss», sagte sie im Deutschlandfunk. Es sei aber keine Kalkulation des Endbetrags. Die von Familienministerin Paus veranschlagten zwölf Milliarden Euro seien in Teilen bereits erfüllt: Mit der Erhöhung des Kindergeldes und des maximalen Kinderzuschlages seien bereits fast sechs Milliarden Euro verbucht.
Wenn erreicht werde, dass wesentlich mehr Eltern den Zusatzbetrag auch in Anspruch nähmen, dann «kann man sich vorstellen, dass da mehr Ausgaben drinstecken, alleine im bereits bestehenden Anspruch auf den Kinderzuschlag», erläuterte Esken. «Und dann sind weitere Leistungsverbesserungen durch die Neuberechnung des sozioökonomischen Existenzminimums abzusehen.» Wie viel es konkret am Ende würden, müsse jetzt gemeinsam verhandelt werden.
Kindler: «Chancen für Kinder gibt es nicht zum Nulltarif»
Der Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler sagte der dpa, die Kindergrundsicherung sei eine der wichtigsten sozialpolitischen Reformen der Bundesregierung. «Die zwei Milliarden Euro im Finanzplan sind ein Platzhalter. Die realen Kosten liegen höher. Teilhabe und Chancen für Kinder gibt es nicht zum Nulltarif.» Entscheidend werde die Ausgestaltung sein.
Michaela Engelmeier, Vorstandschefin des Sozialverbands Deutschland, warf der Regierung «Geiz» im Umgang mit Kindern vor. Der «Bild» sagte sie: «Damit schaden wir nicht nur ihnen, sondern letztlich auch uns selbst. Denn wir verbauen ihre und unsere Zukunft.»
Der Paritätische Gesamtverband warnte ebenfalls, es brauche mehr Geld. «Mit zwei Milliarden Euro mehr im Jahr beseitigen Sie keine Kinderarmut», sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten». «Die Ampel muss sich aufraffen, deutlich mehr Geld für die Kindergrundsicherung auszugeben.»