Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

VonJudith Eichhorn

21. Juli 2023

Washington (dpa) – Die Ukraine setzt die von den USA gelieferte Streumunition nach Angaben des Weißes Hauses bereits im Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer ein. «Sie setzen sie angemessen ein, sie setzen sie effektiv ein», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der US-Regierung, John Kirby, am Donnerstag.

Die USA warnen zudem vor russischen False-Flag-Aktionen im Schwarzen Meer. Unterdessen reichte der ukrainische Kulturminister seinen Rücktritt ein. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in seiner abendlichen Videoansprache zu hohe Ausgaben aus dem Staatshaushalt für kulturelle Projekte in Kriegszeiten infrage gestellt.

Washington: Einsatz von Streumunition wirkt sich bereits aus

Der Einsatz der Streumunition wirke sich bereits auf russische Verteidigungsstellungen und Offensivmanöver aus, sagte Kirby. Für weitere Details verwies er an die Ukrainer. Das Pentagon hatte vergangene Woche bestätigt, dass die kurz zuvor von den USA zugesagte Streumunition bereits in der Ukraine angekommen sei.

Als Streumunition werden Raketen oder Bomben bezeichnet, die in der Luft über dem Ziel bersten und viele kleine Sprengkörper verteilen. Sie ist vor allem deshalb umstritten, weil ein erheblicher Teil davon nicht detoniert, sondern als Blindgänger vor Ort verbleibt und so die Bevölkerung gefährdet. Mehr als 100 Staaten haben ihren Einsatz geächtet, auch Deutschland.

Die Ukraine argumentiert, dass sie diese Waffen dringend zur Verteidigung gegen den bereits seit 17 Monaten andauernden russischen Angriffskrieg und zur Befreiung besetzter Gebiete braucht. Zudem haben internationale Organisationen wie Human Rights Watch nachgewiesen, dass Russland selbst schon seit längerem Streumunition einsetzt. Betroffen von russischem Streubomben-Beschuss waren etwa im vergangenen Jahr Wohngebiete im ostukrainischen Charkiw.

USA: Russland könnte Ukraine Angriffe auf zivile Schiffe vorwerfen

Die US-Regierung warnte zudem erneut davor, dass Russland seine Angriffe nach dem Ausstieg aus dem internationalen Getreideabkommen auf zivile Schiffe im Schwarzen Meer ausweiten und diese dann der Ukraine zur Last legen könnte.

«Unsere Informationen weisen darauf hin, dass Russland weitere Seeminen in den Zufahrten zu ukrainischen Häfen gelegt hat», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby. «Und gestern haben wir beobachtet, dass Russland ein Video der Entdeckung und Detonation einer – wie sie behaupteten – ukrainischen Seemine veröffentlicht hat.» Es sei möglich, dass dieses Video ein «Vorbote» für einen Angriff unter falscher Flagge sein könnte.

Russland hatte am Montag das Abkommen zum Export ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer trotz aller internationaler Appelle für beendet erklärt. Im Anschluss kündigte Moskau an, Schiffe, die ukrainische Häfen ansteuern, künftig als mögliche militärische Ziele zu betrachten. In den vergangenen Nächten griff Russland zudem den Hafen von Odessa, von wo aus in den vergangenen Monaten viele Millionen Tonnen Nahrungsmittel exportiert wurden, sowie andere ukrainische Städte am Schwarzen Meer an.

UN-Chef verurteilt russische Angriffe auf Odessa

UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte die wiederholten russischen Angriffe auf den Hafen von Odessa und andere ukrainische Städte am Schwarzen Meer «aufs Schärfste». «Die Angriffe widersprechen den Verpflichtungen der Russischen Föderation im Rahmen der Absichtserklärung mit den Vereinten Nationen», teilte die Weltorganisation mit. Zudem stelle die Zerstörung ziviler Infrastruktur einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht dar.

Unterdessen wurden bei neuen Raketenangriffen auf Odessa nach Agaben der Behörden mindestens zwei Menschen verletzt. «Im Morgengrauen haben die Russen Raketen des Typs Kalibr von einem Raketenkreuzer abgeschossen, den sie nachts zum Patrouillieren ins Schwarze Meer entsandt haben», teilte der Chef der Militärverwaltung, Oleh Kiper, am Freitag auf seinem Telegram-Kanal mit. Es handle sich um die vierte Attacke auf die Millionenstadt in dieser Woche. Diesen Angaben zufolge galten die Angriffe einmal mehr Getreidespeichern.

London: 20.000 Wagner-Söldner in Ukraine getötet

Bis zu 20.000 der von der Söldnertruppe Wagner für den Angriffskrieg in der Ukraine in russischen Gefängnissen rekrutierte Kämpfer wurden nach Einschätzung britischer Militärexperten innerhalb weniger Monate getötet. Das geht aus dem Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums in London zum Krieg in der Ukraine am Freitag hervor. Demnach wurden bei dem als «Projekt K» bezeichneten Anwerbe-Programm mindestens 40.000 Mann rekrutiert.

Die Ex-Häftlinge haben nach Einschätzung der Briten die Eroberung der umkämpften ostukrainischen Stadt Bachmut ermöglicht. Gleichzeitig sei Wagner erst durch den Zuwachs zu der mächtigen Organisation geworden, die im vergangenen Monat in dem kurzlebigen Aufstand die Autorität des russischen Präsident Wladimir Putin infrage gestellt habe. Angesichts der hohen Verlustrate handle es sich jedoch auch um «eine der blutigsten Episoden der modernen Militärgeschichte», so die Mitteilung weiter.

Ultranationalist Girkin in Moskau in Haft

Der frühere russische Geheimdienstoffizier und Ultranationalist Igor Girkin – bekannt unter dem Kampfnamen Igor Strelkow – ist wegen Extremismus-Vorwürfen verhaftet worden. Ein Gericht in Moskau setzte gegen den 52-Jährigen Untersuchungshaft bis 18. September an. Russische Medien veröffentlichten Fotos und Videos von Girkin in einem Glaskasten vor Gericht.

Girkin leitete 2014 den Aufstand der vom Kreml gelenkten Separatisten im ukrainischen Donbass-Gebiet; in der «Volksrepublik Donezk» nannte er sich Verteidigungsminister. Er gilt zwar als strammer Kriegsbefürworter, kritisierte aber zunehmend scharf die Militärführung Russlands – und warf ihr etwa Inkompetenz und Korruption vor. Kritisierte er zunächst vor allem Generalstabschef Waleri Gerassimow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu, so richteten sich seine Vorwürfe zuletzt auch zunehmend gegen Putin, dem er Untätigkeit vorwarf. Girkins Festnahme erfolgte demnach auf Anzeige eines früheren Söldners der Privatarmee Wagner hin.

Putin droht Warschau wegen Truppenverlegung

Putin warnt uterdessen Polen wegen der Verlegung von Truppen in Richtung des Nachbarlandes Belarus. «Belarus ist Teil des Unionsstaates. Und die Entfesselung einer Aggression gegen Belarus würde eine Aggression gegen die Russische Föderation bedeuten. Darauf werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln reagieren», sagte Putin bei einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrats.

Die Regierung des Nato- und EU-Staats Polen hatte zuvor mitgeteilt, wegen der Präsenz russischer Wagner-Söldner im benachbarten Belarus eine noch unbekannte Zahl eigener Soldaten weiter in den Osten des Landes verlegen zu wollen. Zu den Sorgen in Polen sagte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Besuch in Prag: «Da, wo unsere polnischen Freunde Unterstützung brauchen, im Falle des Falles werden sie sie bekommen.»

Inmitten des von ihm selbst angeordneten Angriffskriegs gegen die Ukraine warf Putin zudem ohne jegliche Beweise Polen die Absicht vor, die Westukraine zu besetzen. Es gebe Berichte über eine angeblich geplante Schaffung einer polnisch-litauisch-ukrainischen Militäreinheit, sagte er. Auch hier blieb er Beweise schuldig. Die Einheit solle in der Ukraine «angeblich für die Gewährleistung der Sicherheit der heutigen Westukraine eingesetzt werden», sagte Putin. «Doch im Grunde, wenn man die Dinge beim Namen nennt, geht es um die nachfolgende Besetzung dieser Gebiete.»

Russland will ältere Wehrpflichtige einziehen

Russland will zudem das Höchstalter für den Einzug von Wehrpflichtigen um drei Jahre anheben. Künftig sollten Männer bis 30 Jahre in die Armee eingezogen werden können, kündigte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Duma, Andrej Kartapolow, in Moskau an. Bislang liegt das Höchstalter bei 27 Jahren.

Das Mindestalter soll hingegen bei 18 Jahren bleiben, wie die staatliche Agentur Interfax unter Berufung auf Kartapolow berichtete. Zwischenzeitlich war angekündigt worden, dass es auf 21 Jahre erhöht werden soll. Medienberichten zufolge soll die neue Regelung vom nächsten Frühjahr an gelten. Das Parlament muss noch zustimmen.

Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte bereits Ende vergangenen Jahres Änderungen in Aussicht gestellt. Beobachter erklärten dies mit der geplanten Aufstockung der Streitkräfte von derzeit 1,15 auf 1,5 Millionen Soldaten. Zugleich wiesen unabhängige Medien darauf hin, dass die Neuregelung der Armee Hunderttausende zusätzliche Wehrpflichtige bringen könnte. Das Höchstalter für die Einberufung von Reservisten wurde kürzlich erst von 50 auf 55 Jahre angehoben.

Ukrainischer Kulturminister tritt zurück

Nach Unmut über den Umgang mit staatlichen Geldern hat der ukrainische Kulturminister Olexander Tkatschenko seinen Rücktritt eingereicht. Es habe «eine Welle von Missverständnissen über die Bedeutung der Kultur in Kriegszeiten» gegeben, führte Tkatschenko bei Telegram als Erklärung für seinen Schritt an. Danach habe ihn eine Aussage von Präsident Selenskyj zu diesem Thema überrascht.

Selenskyj hatte in seiner abendlichen Videoansprache gesagt, er habe Regierungschef Denys Schmyhal gebeten, eine Ersetzung Tkatschenkos in Betracht zu ziehen. Zuvor hatten ukrainische Medien berichtet, der Kulturminister wolle 500 Millionen Hrywnja (rund 12 Mio Euro) für die Fertigstellung eines nationalen Museums ausgeben, das an die Opfer des Genozids Holodomor in den 1930er Jahren erinnern soll.

Auf seinem Telegram-Kanal schrieb Tkatschenko, Mittel für Kultur seien während des Krieges nicht weniger wichtig als Mittel für Drohnen, «denn Kultur ist der Schutzschild unserer Identität und unserer Grenzen».

Selenskyj kritisierte in seiner Ansprache: «In Kriegszeiten wie diesen sollte die Hauptaufmerksamkeit des Staates, und damit auch der staatlichen Ressourcen, auf die Verteidigung entfallen». Zwar seien Museen und andere kulturelle Bereiche wichtig, «aber gerade haben wir andere Prioritäten». Nach rund 17 Monaten russischem Angriffskrieg habe die ukrainische Gesellschaft Verständnis dafür, dass an nicht dringend notwendigen Dingen derzeit gespart werden müsse.

Selenskyj beruft Botschafter in London ab

Kurz nach einer kritischen Äußerung über Präsident Wolodymr Selenskyj wurde der ukrainische Botschafter in Großbritannien, Wadym Prystajko, von seinem Posten abberufen. Selenskyj ließ das entsprechende Dekret ohne nähere Erläuterungen am Freitag in Kiew auf seiner Website veröffentlichen. Vor knapp einer Woche hatte der Botschafter seinem Staatschef im britischen Fernsehen «ungesunden Sarkasmus» vorgehalten. Prystajko war drei Jahre lang auf Posten in London. Davor war er Vizeregierungschef und Außenminister.

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace hatte Kiew zuvor zu mehr Dankbarkeit für bisher gewährte Hilfe im Krieg gegen Russland aufgefordert. Selenskyj fragte daraufhin auf einer Pressekonferenz, was der britische Minister genau wolle. «Soll er mir schreiben. Wir können jeden Morgen dem Minister persönlich nach dem Aufwachen danken», sagte er. Prystajko hatte diesen Schlagabtausch als kontraproduktiv kritisiert. Großbritannien ist eines der wichtigsten Partnerländer der Ukraine.

IAEA: Warten auf Zugang zu Dächern von AKW Saporischschja

Experten der Internationalen Atomenergiebehörde warten weiterhin auf Zugang zu den Dächern des von russischen Truppen besetzten Atomkraftwerks Saporischschja. Die Spezialisten hätten Anfang der Woche weitere Inspektionen der Anlage vorgenommen, dabei aber bisher keine sichtbaren Anzeichen von Sprengstoff oder Minen entdeckt, sagte IAEA-Direktor Rafael Grossi laut einem Bericht der Behörde vom Donnerstag. Die IAEA verlange aber weiterhin Zugang zu den Dächern der Reaktoren und ihrer Turbinenhallen, so Grossi.

Russische Truppen hatten das AKW kurz nach Kriegsbeginn vor fast 17 Monaten besetzt. Mehrfach geriet die Anlage unter Beschuss, was trotz ihres Herunterfahrens international die Sorge vor einer Atomkatastrophe steigerte. Seit Monaten verdächtigen sich Moskau und Kiew gegenseitig, gezielt ein Unglück an der Nuklearanlage zu provozieren, entweder durch Beschuss oder durch Verminung.

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